Mittwoch, 8. April 2009

Die Strategie der Bruderschaft

Wir dokumentieren den Text des Leitartikels von P. Régis de Cacqueray, Distriktoberer in Frankreich, in Fideliter Nr. 188 von März-April 2009:

Von der „Strategie“ der Βruderschaft zu sprechen, kann ohne Zweifel überraschen. Die militärische Bedeutung dieses Wortes, die von ihm suggerierte taktische Seite, paßt das in einen so eminent religiösen und übernatürlichen Kampf, wie den unsrigen? Reicht nicht der Ausdruck „Glaube“ als alleinige Bezeichnung des A und Ω unseres Handlungsvorhabens? Aber der Streit rechtfertigt die Existenz einer Strategie.

Wer wird verneinen, daß die die kleine Armee der Bruderschaft mit einem ungeheueren Kampf beauftragt ist, dem Kampf des Glaubens? Nun, in diesem, wie in einem beliebigen anderen Kampf, gibt es verschiedene zu erreichende Ziele; man muß deshalb die geeignetsten Mittel und Handlungsweisen suchen, um an sie heranzukommen. Zuerst kämpfen wir, um den Glauben dort überall zu erhalten und weiterzugeben, wo er noch vorhanden ist. Das ist das sichtbarste Werk der Bruderschaft und gleichzeitig das, mit dem sich die Mitglieder normalerweise beschäftigen. Aber wir versuchen auch mit ganzem Herzen, durch missionarisches Predigen diesen Glauben an alle Seelen weitergedeihen zu lassen, denn wie könnten wir nicht um den Zustand der Verwahrlosung besorgt sein, in den die Kirche gefallen ist, zerfressen bis ins Mark von der Häresie? Wie könnten wir es wiederum nicht als teuerstes Ziel haben, unser Mögliches zu tun, um die kirchlichen Autoritäten aus der Radspur der Fehler und der Häresien herauszuziehen, in die sie mehr oder minder hineingesteuert haben? Ihnen gegenüber ist diese Pflicht um so zwingender, als auf mysteriöse Weise sich die Bruderschaft fast als letzter imstande befindet, die Hauptanlässe der allgemeinen Glaubensverlust klar darzustellen.

Was der moderner Humanismus ist

Nichtsdestoweniger, wenn auch feststeht, daß die Bruderschaft es sich schuldig ist, auf die Ausrottung von Fehlern innerhalb der Kirche und die Rückkehr von deren Hierarchie zur Ganzheit des katholischen Glaubens hinzuarbeiten, so ist es gleich allen klar, daß eine solche Arbeit extrem gefährlich ist. Verlöre die Brüderschaft diesen Kampf, ließe sie sich ihrerseits von den Irrlehren kontaminieren, so schiene es keine Hoffnung mehr zu geben, aus der Kirchenkrise herauszukommen. Sicherlich glauben wir, daß der liebe Gott allmächtig ist und unser nicht bedarf, um dorthin zu kommen, wo Er hin will. Aber Er will trotzdem nicht, daß wir uns unseren Pflichten entziehen, indem wir mit dem Vorwand, Er dürfe auf außerordentliche Mittel zurückgreifen, es unterlassen, unsere eigenen Mittel und Kräfte auszuschöpfen.

Drei Treppenstufen

Das Nachdenken über die Notwendigkeit dieses Glaubensbekenntnisses gegenüber den Autoritäten der „konziliaren“ Kirche brachten die Oberen der Bruderschaft 2001 dazu, die Grundrisse des Plans zu definieren, nach welchem sie sich auf lange Frist in ihrem Verkehr mit Rom orientieren würden. Der Plan schloß drei Etappen ein. Die erste bestand darin, Rom um „zwei Vorbedingungen“ zu bitten: Die erste Vorbedingung war, allen Priestern das Recht anzuerkennen, die Messe von St. Pius V. frei zu zelebrieren; die zweite, die Rücknahme des Exkommunikationsdekretes von 1988 auszusprechen. In einer weiteren Etappe, nach Zugeständnis der Vorbedingungen, befürwortete die Bruderschaft dogmatische Diskussionen, in deren Verlauf die neuen liberalen, schwer fehlerhaften Hauptthesen des II. Vatikanischen Konzils angeschnitten würden, Ursprung der Krankheit, die die Kirche von innen zerfrißt. Schließlich, in einer dritten und letzten Etappe erst und nachdem diese dogmatischen Diskussionen einmal zu einem glücklichen Ende geraten wären, käme es zur kanonischen Normalisierung der Bruderschaft und der mit ihr befreundeten Gemeinschaften.

Die Bruderschaft traf die Wahl, diesen dreistufigen Plan zu veröffentlichen, also alle mit ihm bekannt zu machen, die Priester und Gläubigen der Bruderschaft sowie die Autoritäten der Kirche. Als er bekannt wurde, interessierte er weder die einen noch die anderen, sosehr schien sein Tenor abgelegen und unmöglich. Man konnte sich Gründe nicht vorstellen, aus welchen sich Rom in seinem traditionsfeindlichen Zustand zu den Bitten dieser kleinen, amtlich aus der Kirche ausgeschlossenen Bruderschaft herabließe. Man warf der Bruderschaft vor, sie dränge zur Tarnung eines Selbstisolierungswillens unerhörte Zumutungen auf. In Wahrheit, wer von uns hätte 2001 gedacht, der Papst würde weniger als acht Jahre danach zwei entscheidende Gesten vollbracht haben, um diesen Vorbedingungen entgegenzukommen?

Eine nötig gewordene Strategie

Rom hätte, als die Bruderschaft ihren Plan bekanntgab, entweder sich überhaupt nicht für sie interessieren, oder aber ihr seine Ablehnung mitteilen und einen Gegenvorschlag machen können. Obwohl dieser Plan einen auf 5. April 2002 datierten Protestbrief von Kardinal Castrillón Hoyos an Bischof Fellay hervorrief, hat sich die von der Bruderschaft vorgeschlagene Roadmap zu Erreichung des Ziels in den Beziehungen zwischen dem Heligen Stuhl und der Bruderschaft tatsächlich durchgesetzt. Die Pontifikatsjahre von Johannes Paul II. gingen ohne jedes sichtbare Resultat zu Ende. Sein Nachfolger Papst Benedikt XVI. ist es, der seine Entscheidung gezeigt hat, die Roadmap der Bruderschaft zu eigen zu machen.

Jeder erinnert sich des noch neuen Ereignisses des Motu proprio des 7. Juli 2007, welches infolge des von unserem Generaloberen ausgerufenen Rosenkranzkreuzzuges erkannte, daß die von Erzbischof Lefebvre verteidigte Messe nie verboten worden war. Der Text enthielt zahlreiche, teils schwerwiegende Unvollkommenheiten, stellte aber nichtsdestoweniger einen entscheidenden Schritt in der fortschreitenden Desenklavierung der Messe dar. Es war immerhin noch denkbar, daß diese Geste eines Papstes, dessen Interesse an der Liturgie berühmt ist, zwar mit dem ersten Wunsch der Bruderschaft zusammenfiel, jedoch ohne auf ihre Bitte hin bewilligt worden zu sein.

Nach dem Dekret vom 21. Januar 1009 ist es nicht mehr möglich, so zu denken. Diese zweite Geste entspricht der zweiten Vorbedingung der Bruderschaft, auch wenn sie diese Vorbedingung weiterhin auf unvollkommene und ungenügende Weise adressiert. Nach ihr können wir nur noch feststellen, daß die zum Zeitpunkt deren Veröffentlichung nie amtlich von Rom angefochtene Strategie von 2001 nunmehr vom Heiligen Stuhl übernommen worden ist und fast buchstäblich befolgt wird. Wir könnten mehrere Gründe anführen, um diese Tatsache zu erklären. Allerdings ist uns bewußt, daß all diese ungenügend bleiben, wenn wir die Macht des Rosenkranzgebetes unerwähnt lassen.

Nicht nur hat sich das Dekret vom 21. Januar wieder in die von der Bruderschaft befürwortete Strategie eingefügt, sondern es hat uns vor allem die Gewähr dafür gebracht, daß Rom akzeptiert, diese Strategie in dem von uns gewünscht gewesenen Sinne zukünftig weiterzuverfolgen. Das Dekret vom 21. Januar erkennt nämlich an, daß zwischen Rom und der Bruderschaft „notwendige Mitgespräche“ über „noch offene Fragen“ stattfinden sollen. Nun, das ist genau das, was wir in unserer zweiten Etappe verlangt haben. Wir haben gesagt, daß wir deshalb dogmatische Diskussionen wollten, weil wir solche für schier unerläßlich halten, um an der Lösung der Kirchenkrise zu arbeiten. Wir können also nicht anders, als uns freuen, daß Kardinal Rè, der das Dokument im Namen des Papstes unterschrieben hat, diese Grundsatzdiskussionen annimmt, sie als nächste Etappe für notwendig erachtet und die von uns gestellten Fragen als „noch offen“ ansieht.

Die Strategie ändern?

Verschiedene Stimmen, aus Rom oder anderswoher, finden allerdings, daß es im augenblicklichen Stadium des Kampfes von Nutzen wäre, unsere Strategie zu ändern. Sie raten uns, die Reihenfolge der verbleibenden zwei Etappen umzukehren und die dritte vor die zweite gehen zu lassen, also die kanonische Regulierung der Bruderschaft vor die dogmatischen Diskussionen. Unter den von ihnen vorgebrachten Argumenten lassen sie das Wohlwollen des Papstes uns gegenüber zur Geltung kommen: Man müsse dieses ausnutzen, denn seine Jahre seien gezählt und man wisse nicht, was die Zukunft bringen werde! Man sagt uns ebenfalls, die dogmatischen Diskussionen seien zum Scheitern verurteilt; wir blieben mit Gewißheit darin stecken und die kanonische Regulierung der Bruderschaft werde nie stattfinden. Oder man sagt uns, die Lage der Bruderschaft einmal in Ordnung gebracht, der ihr so verliehene amtliche Status gäbe ihr mehr Gewicht gegenüber Rom, um ihre Stellungen zur Geltung zu bringen.

Sicherlich, die Wahl dieser oder jener Strategie untersteht nicht dem Glauben und wir streiten die Möglichkeit, darüber zu diskutieren, nicht ab. Übrigens, sind die besten Strategen nicht gerade die, die sich fähig zeigen, je nach Entwicklung der Lage die notwendigen Anpassungen an die Wirklichkeit anzubringen? In unserer Sorge, nicht aus Unfähigkeit, uns in Frage zu stellen, oder gar aus Sturheit auf irgendeiner strategischen Linie zu bleiben, untersuchen wir näher die Einwendungen derer, die unsere kanonische Regulierung ohne Verzögerung befürworten.

Nach Benedikt XVI

Gewiß, der Papst bezeigt uns gegenüber eine unleugbare Besorgnis. Soll man befürchten, daß es bei seinen Nachfolgern anders wäre? Es scheint mir, ohne die Veränderungen mit der Lupe zu verfolgen, die sich in der Kurie und unter den Kardinälen vollziehen, daß der Papst schon einer seinen Wünschen entsprechenden Bewegung sein Imprimatur gegeben hat. Der progressistische Flügel wird allmählich durch eine ernsthaftere Tendenz ersetzt, welche, beängstigt von und ratlos vor der Krise, in welcher die Kirche sich befindet, um Lösungen sucht, um sie dort herauszuziehen, noch aber unfähig ist, die unerläßliche Infragestellung des Konzils zu wagen. Es scheint uns also in Wahrheit, daß, je mehr die Zeit vergeht, desto weniger sich unser Los vom bloßen persönlichen Wohlwollen des Papstes abhängig befindet.

Wie schwer wiegt die Dankbarkeit?

Hätten wir nach der Regulierung der Bruderschaft mehr Gewicht in Diskussionen? Es geht um ein oft gehörtes Argument. Wenn man jedoch auf die Geschichte des Kampfes um die Überlieferung zurückblickt, ist es offensichtlich, daß es allen, die diese kanonischen Regulierungen angenommen haben, nicht gelungen ist, an diese Gespräche zu kommen. Einmal regularisiert, wurden ihre Fälle für erledigt gehalten und diese Diskussionen haben nie stattgefunden. Deutliche Einschüchterungen schrieben ihnen anschließend vor, zu schweigen, falls sie versuchten, einen kritischen Diskurs über das Konzil aufrechtzuerhalten. Wir denken also – gegeben, daß wir fast die Letzten sind, die mit dem Finger auf Fehler zu zeigen wissen –, daß wir nicht das unendliche Risiko eingehen können, irgendeinen kanonischen Status zu akzeptieren, ohne die moralische Gewißheit der dogmatischen Sanierung Roms erhalten zu haben.

Salziges und Süßes

Man muss zugestehen, daß es uns anwidert, uns in einem kanonischen Umschlag zu befinden, welcher von einem Rom angeboten würde, das zu seiner Tradition nicht zurückgefunden hätte und in seiner unmöglichen Suche nach einer Hermeneutik der Kontinuität des II. Vatikanums steckenbliebe. Wir sähen dies als Wahrheitsverschmähung und als weiteres Risiko der Vermehrung der Verwirrung der Seelen.

Später oder nie?

Werden die Diskussionen zwangsweise steckenbleiben? Wir wissen gut, daß sie vom bloßen menschlichen Standpunkt aus äußerst schwierig sind, denn das, was uns trennt, besteht nicht nur in einigen theologischen Schlüssen, sondern von vornherein in wahren, unüberschreitbaren philosophischen Abgründen (vgl. den Aufsatz des H. H. Morvan [in Fideliter]). Allerdings, was für Nuancen gibt es nicht unter Menschen! Neben wirklich im undurchdringlichen Gestrüpp des modernen Denkens verlorenen Intelligenzen existieren gesündere, die zeitlose Philosophie anstrebende Geister. Die Genauigkeit des Thomismus und die Notwendigkeit der Scholastik finden hier oder dort ihre Adelsbriefe wieder. Vergessen wir es nicht: Viele von uns dachten, die beiden ersten Bitten der Bruderschaft würden nie gehört. Die neuesten Ereignisse haben uns das Gegenteil vor Augen geführt. Die Hoffnung auf das Folgende ist daher nicht aufzugeben.

Rom bestätigt

Andererseits dürften wir glauben, es sei nicht der hintergründige Willen des Papstes, daß diese kanonische Regulierung jetzt schon stattfinde. In diesem Dekret des 21. Januar hat der Papst nämlich die Aufhebung der angeblichen Exkommunikationen unterzeichnet und er scheint angegeben zu haben, was er nunmehr wünscht. Nun, er redet nicht von der kanonischen Regulierung der Bruderschaft. Er hätte es tun können aber er hat es nicht getan. Er hat im Gegenteil gesagt, daß die von uns erbetenen dogmatischen Diskussionen unbedingt nötig sind. Zweifelsohne könnte er in Zukunft ganz anderes ausdrücken. Aber was uns betrifft, wir sehen zufrieden zu, wie er die Notwendigkeit der dogmatischen Gespräche anerkennt, bevor man sich mit den kanonischen Fragen beschäftigt.

Schließlich wollen wir sagen, daß man eine Strategie nicht ändert, welche inzwischen ihren Adelsbrief erlangt hat. Nach dieser Erreichung gibt es weniger als je Gründe, sie zu variieren, denn sie ist wirksam: Erstens, allen unser Ziel zur Kenntnis geben; zweitens, das Gelände mit der schweren Artillerie der Rosenkränze bombardieren; drittens und letztens, mit dem Glauben Unseres Herrn Jesu Christi in Richtung der neuen zu erobernden Stellen vorgehen.

Dieser Text erschien am 6. April in der Leserzeitung von kreuz.net. Die Übersetzung aus dem Französischen stammt von Leser "pamino". SANCTE MARCELLE, ORA PRO NOBIS!

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